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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe Adalbert Stifters

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Schriftsteller, Beamter und Visionär

Adalbert Stifter wurde am 23. Oktober 1805 im südböhmischen Oberplan (heute: Horní Plana) als erstes Kind eines Leinenwebers und -händlers geboren. Nach dem Besuch der dörflichen Volksschule und dem Unfalltod des Vaters, der 1817 von seinem umgestürzten Transportwagen erschlagen wurde, konnte Stifter auf Initiative seines Großvaters Franz Friepeß zwischen 1818 bis 1826 das Gymnasium des oberösterreichischen Benediktinerstifts Kremsmünster besuchen, wo er – gefördert vor allem durch seinen Lehrer Placidus Hall – nicht nur eine klassische und humanistische Ausbildung erhielt, sondern wo nicht zuletzt durch die berühmte Sternwarte der Abtei auch sein Interesse an den Naturwissenschaften geweckt wurde.

Nach Abschluss seiner Gymnasialzeit im Sommer 1826 mit besten Zeugnisnoten schrieb sich Stifter noch im selben Jahr in Wien an der Universität für das Studium der Rechtswissenschaften ein, ohne dieses jedoch mit einem Examen zu beenden. In seinen Wiener Studienjahren hörte er ebenso Vorlesungen über Physik, Astronomie und Mathematik. Nach dem Ende seiner Beziehung zu seiner Jugendliebe Fanny Greipl (1808–1839) heiratete Stifter im November 1837 in Wien die Putzmacherin Amalie Mohaupt, die Ehe wird kinderlos bleiben.

Künstlerische Anfänge und Etablierung

Nachdem seine Bemühungen um feste Anstel­lun­gen in den 30er Jahren vergeblich geblieben waren, verdiente sich der Zeit seines Lebens durch Geld­sorgen belastete Stifter sein Einkommen bis in die 40er Jahre hinein als Hauslehrer in Wiener Adels­familien, so auch im Hause des Fürsten Metternich, wo er zwischen 1843 und 1846 dessen Sohn Richard unterrichtete. In seiner künstlerischen Entwicklung stand dabei die bildende Kunst, der er sich als Doppelbegabung in Zeichnungen wie Ölgemälden lebenslang widmen wird, anfänglich lange Zeit mindestens gleichgewichtig neben seinen schrift­stel­le­rischen Versuchen.

Im April 1840 gelang ihm dann mit der Veröffentlichung seiner Erzählung „Der Condor“ der literarische Durchbruch, in rascher Folge erscheinen – zunächst ebenfalls in Zeitschriften – die Erzählungen „Feldblumen“, „Der Hochwald“, „Die Mappe meines Urgroßvaters“, „Die Narrenburg“, „Abdias“, „Das alte Siegel“, „Brigitta“, „Der Hagestolz“ sowie „Das alte Siegel“, die er – in einer für ihn fortan charakteristischen Arbeitsweise – für eine Ausgabe in Buchform z. T. umfänglich be- und umarbeitete. Sie erschienen in insgesamt 6 Bänden (je 3 Doppelbände 1844, 1847 und 1850) unter dem Titel „Studien“.

Die „Studien“ machten Stifter, der parallel dazu seit 1841 das Sammelwerk „Wien und die Wiener“ herausgegeben und mit eigenen Beiträge bestückt und wenig später seine Eindrücke von der totalen Sonnenfinsternis am 8. Juli 1842 in Wien veröffentlicht hatte, zu einer festen Größe im literarischen Wien des Vormärz.

Zugleich markieren sie den Beginn einer lebenslangen, weit über das rein Geschäftliche hinausreichenden freundschaftlichen Beziehung zu dem (Buda-)Pester Verleger Gustav Heckenast (1811–1878), dessen Vorschüsse Stifter eine zwar von Schulden belastete, aber wenigstens einigermaßen gesicherte Lebensführung erlauben werden.

Schulrat und Landeskonservator

Im Wien des Jahres 1848 Augenzeuge der revolutionären Unruhen und Aufstände siedelte Stifter, der zuvor für die „innere Stadt Wien“ zum „Wahlmann“ für die Frankfurter Nationalversammlung bestimmt worden war, noch im selben Jahr nach Linz über, wo er bis zu seinem Tode leben wird.

Als Reaktion auf die Erschütterungen der k. u. k.-Monarchie plädierte er zwischen 1848 und 1851 in einer Reihe von Zeitungsartikeln, die vor allem im „Wiener Boten“ und der „Linzer Zeitung“ erschienen, mit unüberhörbar pädagogischer Akzentsetzung für eine umfassende Bildung breiter Volksschichten und dabei zugleich für tiefgehende Reformen des Schul- und Unterrichtswesens. Nicht zuletzt deshalb wurde er 1850 zum Inspektor der oberösterreichischen Volksschulen und ihm das Amt eines k. u. k. Schulrats übertragen.

Erst am 5. Februar 1855 zum wirklichen Schulrat ernannt, wird Stifter in seiner amtlichen Tätigkeit in zahlreichen Eingaben, Memoranden, Gutachten und Denkschriften wie auch durch seine vielfältigen Inspektions- und Dienstreisen wesentlich zur Verbesserung der ländlichen Lehr- und Lernsituation beitragen, so insbesondere in der Renovierung oder dem Neubau von Schulhäusern sowie beharrlichen Initiativen, die karge Besoldung der Dorfschullehrer zu erhöhen. Seine Bestrebungen, auch Reformen auf dem Gebiet des Realschulwesens anzustoßen, stießen allerdings auf zunehmenden Widerstand von Seiten der staatlichen Behörden wie auch des Klerus. 1856 wurde Stifter, der schließlich nach immer wieder verlängerten krankheitsbedingten Beurlaubungen am 25. November 1865 unter Verleihung des Titels eines Hofrats und Beibehaltung seiner Bezüge in der vollen Höhe in den Ruhestand versetzt wurde, die Inspektionstätigkeit entzogen, sein zusammen mit dem Linzer Mittelschullehrer Johann Aprent (1823-1893) herausgegebenes, für den Einsatz im Schulunterricht konzipiertes „Lesebuch zur Förderung humaner Bildung“ (1854) wurde aufgrund mangelnder religiös-patriotischer Gesinnung die staatliche Zulassung verweigert.

Seit 1853 war Stifter zudem von der Wiener k. u. k. Zentralkommission zur Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale mit dem Amt eines Landeskonservators für Oberösterreich betraut worden, wobei sein Hauptaugenmerk der Renovierung des gotischen Flügelaltars in Kefermarkt galt. 1854 wurde ihm der Franz-Joseph-Orden verliehen.

Weitere Erzählungen und Romane

Neben all diesen amtlichen Aufgaben und Verpflichtungen – er war seit 1855 auch Vizepräsident des 1851 gegründeten „Oberösterreichischen Kunstvereins“ – überarbeitete der seit Mitte der 50er Jahre zunehmend kränklichere, vor allem unter sich progressiv verschlechternden Nervenschmerzen leidende Stifter eine Reihe von fünf zuvor bereits in Zeitschriften publizierten Erzählungen für eine weitere Sammlung, die in zwei Bänden 1853 unter dem Titel „Bunte Steine. Ein Festgeschenk“ erschien und neben „Granit“, „Kalkstein“, „Turmalin“ und „Bergmilch“ sowie dem eigens für diese Anthologie geschriebenen „Kazensilber“ mit der Weihnachtsgeschichte „Bergkristall“ (ursprünglich: „Der heilige Abend“) Stifters wahrscheinlich populärste Erzählung enthielt. Von besonderem Gewicht ist auch die Vorrede seiner Sammlung, in der Stifter das – zumeist als ästhetisches Credo (über)interpretierte – ,sanfte Gesetz‘ formulierte, in dem das Kleine, Unscheinbare und Periphere – wie etwa das „Wehen der Luft das Rieseln des Wassers das Wachsen der Getreide“ – gleichgewichtig neben die großen, mächtigen und zerstörerischen Naturerscheinungen wie etwa Gewitter, Sturm oder Erdbeben gestellt wird.

1857 schließlich erscheint in drei Bänden der von Stifter als „Erzählung“ deklarierte umfangreiche Bildungs-, Erziehungs- und Entwicklungsroman „Der Nachsommer“, in dem Stifter das Ideal einer harmonischen Ausbildung zu Autonomie, Freiheit und Selbstbestimmung wie Selbstbeschränkung entwirft, die dem Protagonisten Heinrich Drendorf auf dem Asperhof, dem Besitz seines väterlichen Freundes und Mentors, dem Freiherrn von Risach, zu Teil wird. Die Anknüpfung an Werk und Denken Goethes wird nicht nur in den Kunstbetrachtungen wie der Betonung der Naturforschung als Medien eines (utopisch entworfenen) geglückten Lebens fernab von Industrialisierung und kapitalistischer Ökonomisierung deutlich, sondern ebenso in der Fähigkeit zu Verzicht und Entsagung, wovon die Liebesgeschichte des Freiherrn und Mathilde erzählt.

Alter und Ruhm

Stifters letztes Lebensjahrzehnt ist von zunehmenden gesundheitlichen, finanziellen und persönlichen Krisen überschattet, wovon insbesondere seine umfangreiche Korrespondenz auf vielfältige Weise Zeugnis ablegt: seine Mutter stirbt im Februar 1858, im März 1859 ertränkt sich die 18jährige Juliane Mohaupt, eine Nichte Amalie Stifters, die als Ziehtochter seit 1847 im Hause lebte, in der Donau; zu den Nervenschmerzen und einem Augenleiden tritt eine – zweifellos ursächlich auch durch Stifters Ess- und Trinkgewohnheiten verursachte – Leberzirrhose, von der sich dieser durch wiederholte Ferien- und Kuraufenthalte zu erholen sucht, so insbesondere auf dem im Bayerischen Wald gelegenen Gut der befreundeten Familie Rosenberger in Lackenhäuser, zudem in Karlsbad (1865–1867) oder Kirchschlag bei Linz , wo er den Winter 1865/66 verbringt und dort die populärwissenschaftliche Artikelserie der „Winterbriefe aus Kirchschlag“ verfasst.

Reisen führen ihn nach Klagenfurt und Triest (1857), Wien und München (1860), zuletzt nach Prag und Nürnberg (1865), wo er auch Studien zu seinem letzten epischen Projekt, einer weit ausgreifenden historischen „Erzählung“ unternimmt. In „Witiko“, der in drei Bänden zwischen 1865–67 erschien, geht Stifter in die böhmische Geschichte des 12. Jahrhunderts zurück und schildert im Zeitraum zwischen 1138 und 1184 den Aufstieg des zu Beginn gerade 20jährigen Witiko, Sohn eines tschechischen Vaters und einer deutschen Mutter, der nach seiner Beteiligung an den Thronfolgekämpfen der böhmischen Herzöge und der Teilnahme am oberitalienischen Feldzug Friedrichs I. Barbarossa durch Belehnung mit Grundbesitz zuletzt zum Stammvater der südböhmischen Burg Wittinghausen wird und zusammen mit seiner Frau Bertha von Jugelbach das Geschlecht der Witigonen, der späteren Rosenberger, begründet.

Die aktuellen zeitpolitischen Intentionen, die auf eine Überwindung der sich in innerhalb der Habsburger Monarchie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschärfenden nationalen Spannungen zielten, wurden freilich von der zeitgenössischen Kritik wie dem zeitgenössischen Lesepublikum kaum zur Kenntnis genommen, wozu sicher auch Stifters Altersstil, nämlich eine spröde, schmucklose, „bis auf ihr Skelett“ (Peter Rosei) abgemagerte, bewusst kunstlose Sprache beitrug, die auch den späten Erzählungen „Nachkommenschaften“ (1864), „Der Kuß von Sentze“ (1866) und „Der fromme Spruch“ (postum 1869) die Anerkennung versagte. Das Projekt, in zwei Anläufen (1864 und 1867) eine Neufassung der „Mappe meines Urgroßvaters“ abzuschließen, blieb unvollendet. In der Nacht zum 26. Januar 1868 fügte sich der unter starken Schmerzen leidende Stifter mit dem Rasiermesser einen tiefen Schnitt in die Kehle zu, an dem er – ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben – am 28. Januar 1868 starb.

Wirkungsgeschichte

Die Wirkungsgeschichte seines Werks war zum einen lange Zeit durch die Etikettierung seiner Prosa als ebenso langatmig, ja langweilig, weil zu detailversessen geprägt, wofür ursächlich Friedrich Hebbels Verdikte vom „Dichter der Käfer und Butterblumen“ (so in einem Epigramm aus dem Jahre 1849) bzw. dem „Komma im Frack“ (so in seiner Kritik des „Nachsommer“) verantwortlich waren. Eine andere, das 20. Jahrhundert insbesondere nach den Katastrophen der beiden Weltkriege lange bestimmende konservative Rezeptionslinie verklärte Stifter zum biedermeierlich weltabgewandten Lebenströster, dem insbesondere die Natur zum Idyll und bevorzugten Fluchtpunkt werde.

In deutlicher Abgrenzung zu solchen Lesarten gewann Stifters Prosa spätestens seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine neu entdeckte Aktualität und Attraktivität, wobei diese Renaissance keineswegs nur der Literaturwissenschaft, sondern in gleichem Maße zeitgenössische Autorinnen und Autoren – wie etwa Heinrich Böll, Arno Schmidt, Peter Handke, Thomas Bernhard, Peter Rosei, Julian Schutting, Hermann Lenz, Alois Brandstetter, E. Y. Meyer, Jürg Amann oder Arnold Stadler – zu verdanken war, die gerade die unter der Textoberfläche nur mühsam kaschierte Spannung und latente Bedrohung aller Stifterschen Ordnungs- und Harmonisierungskonzepte faszinierte, wie auch die in seinen Erzählungen immer wieder gestaltete ,Gleichgültigkeit‘ einer dem Menschen gegenüber fremden, ja feindseligen, keineswegs beherrschbaren Natur in ihrer „fürchterlichen Wendung der Dinge“ angesichts gegenwärtiger ökologischer Krisenszenarien ebenso zu seiner ,Modernität‘ beitrug und so Thomas Manns Würdigung Stifters als einen „der merkwürdigsten , hintergründigsten, heimlich kühnsten und wunderlich packendsten Erzähler der Weltliteratur“ („Die Entstehung des Doktor Faustus“, 1949) nachdrücklich bestätigte.

Johannes John

Wiedergabe der Handschriften mit freundlicher Genehmigung der Abteilung für Handschriften und alte Drucke der Národní Knihovna České Republiky im Prager Klementinum.